Pressetexte und Selbstdarstellung
PHANTASTISCHE KUNST ALS WEGWEISER — Sergius Golowin
Einführung im Buch «Luigi Crippa Radierer und Maler», 1977 Luigi Crippa wurde 1921 in Perego in der Brianza geboren: Das ist das Comerland in der unmittelbaren Nähe der Schweiz; was seine Volkskultur angeht, mit entsprechenden ländlichen Gegenden des schweizerischen Tessin auf mannigfaltige Art und Weise verknüpft. Als Kind kommt Luigi, Sohn eines sogenannten norditalienischen „Gastarbeiters“, in unsere Eidgenossenschaft. Er erlebt manches im Lande bewusst und man kann von ihm darum mancherlei über das Gute und auch über das Zweifelhafte bei uns lernen, viel mehr als bei vielen „alteingesessenen“, die alles um sie herum als Selbstverständlichkeit nehmen und eigentlich mit nichts mehr zufrieden, zumindest nie begeisterungsfähig sind.
In der Hippizeit haben junge Betrachter der Kunst Crippas, aber auch Teilnehmer an wissenschaftlichen Versuchen der Chemie mit rätselhaften Stoffen, die Verwandtschaft seiner Malereien mit Geschichten unter dem Einfluss von „psychedelischen“ Pilzen und Kräutern verglichen. Dies erzählt Crippa selber, führt aber seine überirdischen Sternenstädte, Wolkenschiffe, durch kosmische Welten schwebende gigantische Schmetterlinge und Flugfische auf Vorstellungen zurück, die er als Kind hatte: An schweizerischen Seen, oft das Schicksal des noch etwas fremden „Aussenseiter“ gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung erleidend, sucht er die Einsamkeit und den Genuss im Anblick von Wolken, Wassern, Berglinien in Dunst und Nebel. „Das ist der unerschöpfliche Vorrat von Erinnerungen aus dem ich immer hervorhole, wenn ich an das Malen gehe“. Crippa kam schon zur Kunst als Kind – zur „Phantastischen Malerei“, eigentlich für uns ganz verwandt seiner heutigen, stiess er aber 1960 vor, also in einem Jahr, das von Amerika bis Europa auf dem geistigen Gebiet einen Übergang bedeutet.
MALEREI ALS FORSCHUNGSMITTEL
Was für uns dabei wichtig ist: Crippa sah hier beim Malen, wie ich bereits bei einer Vernissage der Sechziger feststellen durfte, keine Spielerei mit Stilen, des Herausarbeiten einer künstlerischen Eigenart, damit sie ihn von damals über „forschriftliche“ Kunsthallen, den Kunsthandel und damit auch über staatliche Unterstützung herrschenden Abstrakten abhob. Er sah in seinem ganzen Malen schon damals den sichtbaren Ausdruck des Suchens der Gesamtheit, also der ihn umgebenden Jugend, des vom Industrialismus ermüdeten Volkes, seiner ganzen Zeitgenossenschaft nach neuen Möglichkeiten.
In einem Gespräch erklärte er uns damals: „Kunst als reine Kunst gibt es nicht. Kunst ist nur der Ausdruck der eigenen Weltanschauung und damit gleichzeitig ein gutes Mittel, diese Weltanschauung unter gleichgesinnten Menschen zu verbreiten. Gerade heute sollte jeder Künstler, Dichter, Maler, sich gleichzeitig mit irgendeiner Wissenschaft beschäftigen. Fast alle Wissenschaften, Physik, Psychologie, Archäologie, Soziologie, weisen uns auf neue Wege der Phantasie, ihre gewaltigen Entdeckungen müssen nur für die schöpferische Tätigkeit des Menschen fruchtbar gemacht werden. Darum liebe ich auch vor allem die Werke der Fanta-Scienza, der Science Fiction, des phantastischen Realismus, hier fand ich Verständnis und Bestätigung für die unglaublichen Träume meiner frühesten Jugend.
Von hier aus lernt der Mensch endlich, sich nicht immer als machtgieriger Beherrscher, Besitzer einer scheinbar flachen Erde ernst zu nehmen. Er erkennt sich endlich als den Bürger eines Planeten, umgeben von einem endlosen Ozean der Geheimnisse. (Angeführt nach Nationalzeitung, Nr. 483, Basel 1968)
UMBRUCH DER SECHZIGER
In den phantastischen Sechzigern, als in Bern einheimische Hippies mit wiedergeborenem Sinn für urtümliche Bräuche und ausländische Gäste (voll Träumen nach einer utopischen Zukunft) zusammen nach neuer Kunst und Lebensstil forschten, war Luigi Crippa ohne Zweifel ein grosser Anreger. „Ich will nach Möglichkeiten suchen“, dies erklärte er uns damals und dies wurde bereits 1968 im erwähnten Aufsatz angeführt, „meine Gemälde-Ausstellungen zu Orten der Begegnung zu machen, in denen die Vertreter neuer Gedanken in Wissenschaft und Poesie einander treffen und gegenseitig anregen. Das Unsichtbare, das Unbekannte macht uns Zeichen, das ist der Titel eines Buches des Bieler Journalisten Gilbert Bourquin.
„Wir alle müssen endlich die Phantasie als Mittel der schöpferischen Welterkenntnisse Wiederentdecken“.
Jene berühmte Ausstellung in der Berner Kunsthalle 1967, die auch für Crippa eine wichtige Bestätigung der Grundrichtung seiner ganzen Fiction und der damit zusammenhängenden Comics (von den Hippies längst „Cosmics“ Umgetauft…) in der ganzen Welt „als echte moderne Kunst“, ist eine wichtige Stufe dieses ganzen , immer weitere Kreise ergreifenden Vorganges! Selbstverständlich auch, dass das Gesamtwerk unseres Landsmannes Erich von Däniken, ganz den Sternengöttern und den „astroarchäologischen), Beweisen für ihr Dasein gewidmet, in den Jahren 1968-1976 (samt den amerikanischen Taschenbuch-Ausgaben) die Gesamtauflage von etwa 38 Millionen Bänden erreichte. Wozu, dies nach Dänikens eigenen mündichen Angaben, eine mindestens gleichhohe Zahl der gleichzeitigen Bücher seiner Vorläufer, Anhänger und Nachahmer kommt….
MARKSTEINE EINER ENTWICKLUNG
So wird das Werk Crippas seit 1960 ein grossartiges Zeugnis für jene Jahre, als zwischen Kalifornien und Katmandu am Fusse des Himalayas, Millionen von jungen Menschen aufbrachte, um die lebendige Wirklichkeit ihres Zeitalters zu suchen – und damit unser Alpengebiet Schweiz zu einer entscheidend wichtigen Drehscheibe in all diesen Entwicklungen und Wanderungen wurde. Es ist eine bleibende Urkunde für jene Zeit, das zeitlose Träume, mit wieder wachen Augen geschaut, nicht mehr nachträglich von Erwachsenen verdrängt, vergessen, begraben wurden – sondern als man sie wieder als wichtigste Grundlage für sein ganzes Leben neu zu bewahren und zu gestalten begann: Zur phantastischen Dichtung und Philosophie, zur Malerei, zur Quelle von Anregung für sämtliche Bewegungen des Daseins.
Es gebe nur ein Glück, dies ist eine recht alte Weisheit und es bestätigt sie uns die neueste Erkenntnis: Es ist dies die Sehnsucht, die Bilderwelt, die Begeisterungsfähigkeit seiner Kundheit wiederzufinden. Solches ist für Crippa das offene Bekenntnis der neuen Kunst, die nach und nach jede spiessbürgerliche Begrenzung gegen die angrenzenden Gebiete, Wissenschaft und echte Religion, nicht mehr anerkennt.
Dank einer also gearteten Kunst fühlt sich der Mensch wieder verjüngt, mit Neugier und Lebensmut begabt, indem er sich nicht mehr als «ernster Erwachsener», über die Welt seiner Kundheit «erhaben» fühlt – sondern indem er sich an sie erinnert, sie liebevoll erweckt, gestaltet, in seinem ganzen Umkreis des Wirkens auszuleben sucht. Als die einzige «Wirklichkeit hinter allen Wirklichkeiten». Die Wahrheit an sich, die ewig weiterbesteht, auch wenn sie im späteren «Ernst des Daseinskampfes», von den verlogenen modischen «Realitäten» verdüstert wird.
Bei diesem ganzen Versuch der inneren Vereinigung von Trauma und Verwirklichung, schöpferischem Geist und Alltag ist uns Luigi Crippa zweifellos ein wichtiger Lehrer. Es gibt im Kreise des «Tatort Bern», dieses Mittlepunkts der für ganz Europa wichtigen künstlerischen Entwicklungen der Sechziger, viele junge Menschen, für die sein Atelier auf diesem Wege eine wichtige Hochschule war.
SELBSTDARSTELLUNG — Luigi Crippa
als «Planetarier, hielt ich am 16. Februar 1921 um ca. 23 Uhr Einzug auf die, Erde und erblickte etwas später das trübe Licht dieser Welt. Solches geschah auf einem kleinen Hügel in einem ebenso kleinen Dorf. Man nennt es Lissolo bei Perego in der Brianza und es gehört zur Provinz Como, etwa 35 Kilometer von der Schweizergrenze entfernt. Wie jedes Wesen, hatte auch ich eine Mutter. Leider starb sie, als ich noch nicht ganze zwei Jahre alt war. Mein Vater, von Beruf Schreiner, arbeitete als Fremdarbeiter in der Schweiz. Ich lebte, oder besser gesagt, ich versuchte es mit aller Mühe, zusammen mit drei Tanten in einem alten Haus. Diese nahmen mich in ihre Obhut. Die eine war 110 cm, die Grösste 154 cm gross. Das grösste in diesem alten Barockbau waren das Cheminee und die Armut.
Noch nicht sechs Jahre alt, holte mich mein Vater und nahm mich mit in die Schweiz. Das war, meine erste Reise. Diese endete in Faido im Tessin. Hier bekam ich auch eine neue Mutter—eine Stiefmutter — denn mein Vater hatte sich wieder verheiratet. Mit sechs Jahren musste ich in die Schule, doch ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Ich träumte vor mich hin und hie und da wurde ich durch eine unsanfte Hand aufgeweckt, damit ich ja nicht den Schluss des Unterrichtes verpasste. Aus jener Zeit erinnere ich mich eigentlich nur noch an die Sonne, die meistens warm und freundlich mein kleines Leben erhellte.
Kaum war ein Jahr verflossen, zog mein Vater weiter — auf die andere Seite des Gotthards — nach Altdorf. Gepäck hatten wir nicht viel mitzunehmen, denn Armut kann man unverpackt transportieren. Wir bezogen eine Fremdarbeiterwohnung. Heute noch nennt man solche Wohnungen «Höhlen». Das einzig Gute daran war, dass die Schnecken der Feuchtigkeit wegen bei uns Unterschlupf suchten. Sie konnten gratis bleiben, denn nach einiger Zeit dienten sie uns als Mahlzeit. — Nun musste ich auch hier wieder zur Schule. Von den Kindern als nicht «Einheimischer» verspottet, verhöhnt und oft geschlagen, waren für mich die Schule und der Schulweg die grösste Qual. Als Lehrerin amtete eine Nonne, von der mir nur ihre Handsprache in Erinnerung blieb. In Erinnerung blieben mir aus dieser Zeit auch eine gewisse Art von Frauentypen für meine Optik hatten sie eine unheimliche Grösseund mit ihren ausgewaschenen blonden Haaren dem rosaroten Gesicht mit zwei kleinen, listigen meist bebrillten Aeuglein, flössten sie mir unheimliche Angst ein. Sie kamen mir vor wie blonde Berge, unter denen ich mich schon begraben sah.
Mein Refugium aus dieser Zeit waren das Kapuzinerkloster und die Kirche. Dort gab es viele Bilder in die ich mich vertiefen konnte und die meine Phantasie anregten. Hauptsächlich bei den Kapuzinern begeisterten mich die surrealistischen Bilder, vor allem die Darstellungen der Hölle.
Schon wieder packten wir unsere Habseligkeiten, zusammen mit der unverpackten Misere, und weiter gings nach Seewen, Kanton Schwyz. Dort erhielten wir eine Wohnung, die ganz frisch nach Kalk roch, der Maler war eben mit weissgeln fertig geworden. Inzwischen wurde ich 8 Jahre alt und sprach schon ganz gut Urnerdeutsch. Aber eben, im Kanton Schwyz spricht man einen anderen Dialekt! Kinder können grausam sein: schon war ich als Fremdarbeiterkind wieder schonungsloses Spottobjekt der einheimischen Kinder. Auch litt ich in meiner Kindheit sehr stark an Zahnschmerzen. Nicht etwa wegen der Süssigkeiten, sondern weil die Zähne einfach schlecht waren. Dieser Schmerzen wegen hatte ich in der Schule manchmal Schwierigkeiten. Auch hier war wieder eine Nonne Lehrerin und auch hier landeten ihre sanften Hände immer ausgerechnet auf meinen schmerzenden Wangen. So waren meine ersten vier Schuljahre gezeichnet von Angst und begleitet von Hunger.
Wie alles im Leben vorüber geht, ging auch diese Zeit zuende, und ich kam zu einem Lehrer, bei dem ich den Rest meiner Schulzeit verbrachte. Endlich wurde ich nicht mehr grundlos geschlagen. Ich bekam Freude am Lernen und der Lehrer behandelte mich als einen Menschen. Das war das erste Mal ausserhalb meiner Familie, wo ich das erleben durfte. Dieser Lehrer lebt heute noch und ich denke oft und in Dankbarkeit an ihn. Arm waren wir aber immer noch. Doch die Natur war zu jener Zeit noch reich und frei, d. h. ich konnte fischen im nahen See (ohne ein Patent besitzen zu müssen). In den Wäldern gab es Pilze und Beeren in Hülle und Fülle, sodass wir keinen Hunger mehr leiden mussten. Fischen war meine Leidenschaft und ich konnte bis spät in den Abend hinein, bis es fast dunkel wurde, sitzen, horchen, sehen und staunen. Beim Fischen ist es dann eigentlich auch geschehen: das was ich heute als den Ursprung meines heutigen Schaffens deuten möchte: Ein kleiner See, darin zwei Inseln, die eine klein, die andere noch kleiner. Hie und da, ein kleines Boot mitten im See. Mitunter fing ich auch Krebse, die ich bewunderte und wieder laufen liess. Ich schaute und träumte! Bilder, Visionen und phantastische Gebilde erregten meine Phantasie. Ich war weit weg von der Wirklichkeit und mein Zuhause war eine Welt, vor der die anderen nichts wussten, mit der ich ganz allein war und die mir ganz allein gehörte. Da gab es Wolken, die für mich nicht nur Wolken waren, Bäume und Sträucher, die Personen verkörperten, Blumen und Schmetterlinge, mit denen ich sprechen konnte. Es war eine fabelhafte, heile Welt.
Meinem Talent entsprechend konnte ich nach der Schule eine Dekorationslehre absolvieren. Damit war es mit dem Träumen zu Ende, respektive diese wurden anders beeinflusst. Das Leben mit all seinen Versuchungen, Ängsten, Nöten und Sorgen begegnete mir und mit vierzehn Jahren war ich allein in der Fremde und auf mich selbst angewiesen. Ich lernte meinen Beruf und bildete mich so gut es meine Möglichkeiten erlaubten, daneben im Zeichnen aus. Ich war aber noch zu sehr beeinflusst von allem was mich umgab und ich schwamm und suchte einen Halt. Ich schaute um mich, statt in mich! In dieser Periode des Suchens brach der zweite Weltkrieg aus. Ich wurde aufgeboten, für mein Vaterland zu kämpfen. Ich befolgte das Aufgebot nicht und wurde damit staatenlos. Die Schweizerpolizei holte mich eines Tages und spedierte mich in ein Arbeitslager, von denen ich während des ganzen Krieges viele kennen lernte. Unter anderem half ich auch beim Bau der Sustenstrasse! Aber auch während dieser Zeit, ausgefüllt mit schwerer, harter körperlicher Arbeit, fand ich immer Zeit und Musse, mich im Zeichnen zu üben.
Der Krieg ging zu Ende. Ich ging zurück nach Mailand und nahm mein Studium an der Akademie Brera auf. Dort konnte ich mich entfalten, ich lernte Künstler und Menschen kennen, kleine und grosse. Durch die Bekanntschaft des Bildhauers Giacomo Manzü begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Durch ihn machte ich Bekanntschaft mit der wunderschönen Stadt Bergamo, in die ich mich verliebte ‑ und in der ich mich verliebte und auch heiratete. Dies war ein Schritt von der Kunst zurück zur Natur. Meine Kindheitsträume aber schlummerten immer noch in meinen tiefsten Tiefen und so entschloss ich mich, nach der Heirat wieder in die Schweiz zurückzukehren, von wo ich das grosse Glück erhoffte. Aber das Glück musste sich irgendwo verirrt haben, denn vom Traum, mich als Künstler durchsetzen zu können, blieb nur die Illusion! Um leben zu können suchte ich eine Beschäftigung und kam dann schlussendlich nach Bern. Hier versprach man mir Himmel und Erde, nur die Hölle nicht. Diese konnte ich gratis haben. Trotzdem entschied ich mich, zu bleiben und ich konnte mich nach etwa 25 Jahren schlecht und recht aus der Hölle befreien. Tagsüber arbeitete ich auf Baustellen und des nachts widmete ich mich meiner Kunst mit einer Zähigkeit und Verbissenheit, darob ich heute selber staunen muss. Ich möchte aber nicht ungerecht sein: in Bern habe meine Freunde — meine guten Freunde, in Bern konnte ich mich trotz der materiellen Schwierigkeiten entfalten. Ich lernte, in mich zu schauen und entdeckte nach einer Zeit der Meditation und des Umbruches, dass ich die Begeisterung meiner Kindheit für die phantastischen Vorgänge in der Natur wiedergefunden hatte.
Bern, Mai 1977.